Böse Geister
Keine Wegspur, nichts zu sehen,
wissen wir noch, wo wir sind?
Böse Geister, scheint es drehen
uns im Kreis, im Wirbelwind
(A. S. Puschkin)
In Dostojewskijs Roman aus dem Jahr 1871 verarbeitet er die 10
vorangegangenen Jahre – in denen unter anderem die Leibeigenschaft der
Bauern abgeschafft wurde, in St. Petersburg die Studentenunruhen blutig beendet wurden und eine ganze Generation junger Menschen dem Zaren den Rücken zudreht und dem Nihilismus in die Falle geht.
Nikolaj Stawrogin findet sich im Dorf seiner Mutter wieder, wo alles seit Jahren
den gleichen Mustern folgt. Intrige, Neid, Angst und Obsession. Die Bösen
Geister des Ortes haben sich breitgemacht. Nikolaj taucht tief in das Leben des Landadels ein. Er ist süchtig nach Selbsterfahrung. Das schale Gefühl bekommt er dabei jedoch nicht los. Warum bin ich hier? Was ist mein Ziel? Wofür lohnt
es sich zu kämpfen? All diese Fragen scheinen sich ihm nicht mehr zu stellen.
Als eine terroristische Gruppe ihn als Gallionsfigur gewinnen will, fangen die
Ereignisse an, sich zu überschlagen. Am Ende stehen ein abgebrannter Stadtteil, eine Handvoll Tote und ein großes Gefühl der Reue.
Der im damaligen Russland aufkommende Nihilismus bildete den Grund, auf
dem die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts gedeihen konnten.
Dostojewskij will uns die Sinne für die Zeit des Übergangs schärfen und zeigt
auf, wozu moralische Gleichgültigkeit führen kann. Und so gilt es auch für uns
genauer hinzusehen, wer heute unsere Meinung beeinflusst. Wir unterliegen
den gleichen Versuchungen und Gefahren und teilen die gleiche
Verantwortung, wie die Figuren Dostojewskijs. Ob Pegida oder „je suis
Charlie“, es gilt zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden – sonst
laufen wir Gefahr, nicht mehr als Material für die Pläne anderer zu sein.
Es sind die drängenden politischen Fragen nach Verantwortung und der Wahl
der Mittel, aber noch mehr die Menschen und deren alltägliche Komik wie
Tragik, die Dostojewskij so groß machen. In unserer unlösbar komplizierten
Welt der Kleinkriege und des Terrorismus ist Dostojewskij der Scheinwerfer, der
einen scharfen Schatten zeichnet. Und trotz düsterer Atmosphäre funkelt es vor
humoristischen Einlagen und temperamentvollen Dialogen.
In stimmungsvollen Bildern taucht das junge Ensemble von TheaterTotal in Dostojewskijs Welt ein, die die Gesellschaft von heute spiegelt. Verwoben mit Musik und choreografischen Elementen fächert sich die Vielschichtigkeit des Dramas langsam auf, während die Handlung unnachgiebig vorangetrieben
wird.
Bei TheaterTotal finden sich jedes Jahr um die 30 junge Menschen aus ganz
Deutschland zusammen, um gemeinsam künstlerisch zu arbeiten und sich auf einer ganzen Bandbreite kreativer Berufe auszuprobieren. Schauspiel, Tanz, Tai-
Chi und Akrobatikunterricht gehören genauso zum Alltag, wie die Zubereitung eines täglichen Mittagessens für 30 Personen und die Organisation einer
dreimonatigen Tournee durch Deutschland und die Schweiz. Gemeinsam mit
professionellen Künstlern wird eine Inszenierung entwickelt, die dann von April
bis Juli auf der Tournee gespielt wird.